Heimatverein Kohlscheid 1932 e.V.
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Kohlscheider Geschichte bewahren – Heimat erleben

...und noch 'ne Scheeter Jong - Kohlscheid in den 50er und 60er Jahren

Ein Rückblick auf die Vielfalt des Lebens vor der Discounter-Ära

Im Jahr 1959 dokumentierte der Fotograf Friedrich Eihmer mit seiner großen Filmkamera das bunte Leben in Kohlscheid. Die folgenden Anmerkungen ergänzen seinen Film, der die Nachkriegsatmosphäre eindrucksvoll einfängt, und werfen einen Blick auf die damalige Vielfalt des lokalen Einzelhandels, der Gastronomie, des Gesundheitswesens und weiterer Aspekte des alltäglichen Lebens in der Gemeinde.

von Julien Ringeloth

Im Laufe des Jahres 1959 tauchte der Fotograf Friedrich Eihmer an den verschiedensten Orten und bei festlichen Gelegenheiten in Kohlscheid auf, um mit seiner großen Filmkamera das Leben in der Gemeinde zu dokumentieren. Die folgenden Anmerkungen sollen eine kleine Ergänzung darstellen zu seinem Film*, der die Atmosphäre der Nachkriegszeit so vielfältig wiedergibt.

Die Südstraße 1969

Wie war es denn, bevor Aldi, Lidl und Edeka die Kohlscheider mit dem täglichen Bedarf versorgten? Man kann es sich kaum vorstellen, aber in ganz Kohlscheid gab es zur besten Zeit fast 50 (!) kleine Lebensmittelgeschäfte, die heute etwas abfällig als „Tante-Emma-Läden“ tituliert werden. Sehr praktisch war die dezentrale Versorgung, d.h. auch in den letzten Winkeln, etwa von Klinkheide, Pannesheide oder Bank, konnte man auf kürzestem Wege alles Lebensnotwendige erwerben. Dabei war die Vielfalt der angebotenen Artikel in den Tante-Emma-Läden durchaus bemerkenswert, vor allem im Verhältnis zur Ladengröße. Was es allerdings nicht gab – im Gegensatz zu heute – das waren Schokoladen-Nikoläuse und Weihnachtsgebäck schon im Sommermonat September. Manche Inhaber gaben schon früh auf, andere behaupteten sich länger gegen die aufkommende Konkurrenz der Discounter: Einer der Lebensmittelläden, die noch tapfer bis in die frühen 90er Jahre durchhielten, war das Geschäft von Netti Flecken in der Weststraße. Als allerletzte machte Christa Robertz in der Südstraße ihren kleinen Laden dicht. Das neue Prinzip der Selbstbedienung hielt Einzug mit der Hillko (zunächst Weststraße, später am Markt) und dem Westkauf am Langenberg, beides Versorger, die ihren Ursprung im Genossenschaftswesen hatten.

Auch bei den Bäckern und Metzgern herrschte erstaunliche Vielfalt: In Kohlscheid boten nicht weniger als 17 Bäcker ihre Produkte an, davon alleine fünf in der Südstraße. Besonders erwähnenswert an dieser Stelle ist das Konditorei-Café Olers-Schaffrath (heute Nobis) in der Weststraße, wo man sogar auf zwei Etagen Kaffee und Kuchen genießen konnte. Bei den Metzgern sah es nicht viel anders aus: Ganz Kohlscheid zählte 17 Metzgereien, auch hier konnten die Käufer alleine auf der Südstraße zwischen 7 Anbietern wählen. Sogar für frischen Fisch musste man nicht in die Ferne, den gab’s bei Toni Schiffmann am Markt.

Aber der Mensch lebt nicht vom Brot allein: Italienisches Eis gab es schon sehr früh am Kohlscheider Markt: zunächst bei Lino Serafin, dann bei Herrn und Frau Simonetti, deren Sohn dann irgendwann das Eisgeschäft an Familie Tasin übergab. Auch das Angebot an Konsumgütern war erstaunlich breit gefächert: Vier oder fünf Schuhläden machten sich in Kohlscheid Konkurrenz. (Mit dem Schuhhaus Kolb hat Ende 2023 der letzte Schuhhändler aufgegeben.) Für Unterhaltungselektronik musste man nicht das Dorf verlassen: Bei Veith am Markt oder Schulpin in der Weststraße gab es die neuesten Plattenspieler, Transistorradios und Ähnliches. Sich einzukleiden war überhaupt kein Problem: Die Modehäuser Kerkloh und Klee (Motto: Klee macht Mode – Mode mit Pfiff) boten gut sortierte Konfektionsware. Einige kleinere Läden für Weißwaren, Wäsche und Accessoires ergänzten das Angebot. Baumärkte? Natürlich Fehlanzeige. Eisenwaren aller Art, Werkzeuge, Fahrräder und Kinderwagen gab’s bei Heinrich Eck in der Weststraße; dort drehte sich auch Mitte der Sechziger im Schaufenster das erste Honda-Motorrad auf einer beweglichen Scheibe. Fahrräder konnte man außerdem in den Geschäften von Eichenbaum, Kicken und Grafen erwerben. Erstaunlich auch, dass es allein vier Läden gab, wo man Farben, Tapeten und Malerbedarf bekam. Und ganz erstaunlich und erfreulich: Die beiden Schmuck- und Uhren-Geschäfte Berghoff und Jungbauer (vormals Bader und Sistermanns) haben überlebt, ebenso wie das „Kohlscheider Kaufhaus“ Pütz, das unter dem Namen Hilgers begann und heute zu Kohlscheids wichtigsten „Playern“ gehört. Und zwei weitere Anbieter sind noch aktiv: das Druckhaus Schmitz in der Weststraße und Stoffe Mommertz in der Südstraße.

Ja, selbst wenn man ein Haus bauen wollte oder wenn die selbstständige Gemeinde Kohlscheid eine Straße anlegte, so konnte man durchaus auf ortsansässige Firmen zurückgreifen: Es gab mindestens fünf Bauunternehmungen für den Hochbau (von diesen hat keine überlebt!) und zwei große Firmen für den Tiefbau: Reuber und Lube & Krings, beide noch aktiv, die man aber (aufgrund mangelnder Weitsicht) nicht in Kohlscheid halten konnte oder wollte.

Das Bavaria-Kino in der Südstraße

Und vergnügen konnte man sich auch in Kohlscheid: Gut 30 Kneipen und Gaststätten zählte man in den Fünfzigern, darunter die Sportzentrale Göbbels in der Südstraße, wo die ersten ausländischen Rockbands auftraten, oder das Konzerthaus Harff, das sich nicht nur zu Karneval oder an Kirmestagen außerordentlicher Beliebtheit erfreute. Das Aufkommen des Fernsehens und Jahrzehnte später das Rauchverbot besiegelten hier für die meisten das Ende. Ähnliches gilt auch für die beiden Kohlscheider Kinos: Das große Bavaria (700 Plätze) in der Südstraße wurde bereits 1960 geschlossen, das kleinere Capitol am Markt überlebte (dank seichter Unterhaltungsware à la Winnetou und Edgar Wallace) etwas länger, stand lange leer und bot zuletzt ein sehr traurig-desolates Bild (Ende 1979).

Ehemalige „Tonhalle“ und Capitol-Kino Markt 13

Und wie stand es um das Gesundheitswesen in Kohlscheid? Die Versorgung mit 5 oder 6 Hausärzten (es waren in der Tat nur Männer!) war ganz stattlich, aber es gab keinen einzigen Facharzt in Kohlscheid. Zwei Apotheken (Engelsing und Falken) reichten völlig aus, offenbar waren die Kohlscheiderinnen und Kohlscheider damals seltener krank. Noch eine Kuriosität am Rande: Wer ein nur kleines Wehwehchen hatte, ging zur (Ordens-)Schwester Silvestra, die eine winzige Ambulanz im Katharina-Kindergarten betrieb.

Die ehemalige Gaststätte „Zum Dreieck“

Und sonst: Die Kinder drückten sich die Nasen platt vor dem Spielwaren-Geschäft Schmitz in der Weststraße, und wenn sie dann halbwegs erwachsen waren, kauften sie ihre ersten Singles oder Langspielplatten im Schallplatten-Lädchen in der Südstraße. Am erstaunlichsten aber war, dass es vornean in der Weststraße sogar einen Musikalienhandel gab, der von Kapellmeister Hermann Kornatz betrieben wurde. Dort fand der Musikfreund ein eher bescheidenes Angebot an Instrumenten und Verstärkern vor, aber immerhin, die rebellische Jugend der Beat-Generation musste nicht für einen Satz Gitarrensaiten nach Aachen fahren.

Viele Gewerbe können wir nicht im Einzelnen verfolgen: Die 18 Friseure, die es zeitweilig gab, die Drogerien (Hark, Knops und Mommertz), die Schreibwarengeschäfte (u.a. Brülls-Steinbusch), die Möbelfabrikation, die Gießereien und der Schrottplatz, das Casino Laurweg… und, und, und… Bei aller Vielfalt, eines gab es damals nicht in Kohlscheid, nämlich einen gut sortierten Buchladen. Für alle Bücherfreunde war es geradezu eine Erlösung, als das Ehepaar Welty-Katterbach in den Achtzigern sein Geschäft (heute Schauenburg) eröffnete, just dort in der Südstraße, wo heute die Markttangente „Op d‘r Scheet“ beginnt…

*Der Film von Friedrich Eihmer liegt (in rekonstruierter Form) in Kassettenform vor, ist aber leicht zugänglich bei YouTube oder auch (in einzelnen kleinen Episoden) bei WDR digit (auch Internet), hier allerdings ohne den Originalkommentar von Leo Ortmanns.